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―19. Juni 2009
Ich habe lange überlegt, wie ich dieses Thema am besten anpacken soll. Vielleicht erst einmal der Anlass: Am gestrigen Abend hat der Deutsche Bundestag das Zugangserschwerungsgesetz mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD angenommen1. Vieles ist im Vorfeld dazu geschrieben worden, manches in den Totholzmedien war sogar einigermaßen erträglich. Dazu will ich keinen weiteren Senf hinzufügen. Jedem, der sich im Internet bewegt und der mehr als fünf Minuten Gehirnschmalz darauf verwendet hat, ist klar, dass dieses Gesetz neben der fehlenden Gesetzgebungskompetenz des Bundestages2, der Aufhebung der Gewaltenteilung laut Artikel 20 des Grundgesetzes3 und der Schaffung einer nicht zweckgebundenen Zensurinfrastruktur für das WWW noch genügend weitere Munition für eine hoffentlich erfolgreiche Verfassungsbeschwerde nebst Eilantrag bietet.
Darum soll es nicht gehen. Mir fiel im Zusammenhang mit der gesamten Thematik auf, dass die Medien, die aus meiner Sicht zuallererst hätten Sturm laufen müssen, lange Zeit absolut gar nichts zu diesem Thema verlauten ließen. Entweder hat das Thema dort niemanden interessiert oder man wollte sich nicht in die Schusslinie begeben. Schließlich verfuhr die Ministerin Frau von der Leyen nach der Prämisse: Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Und wer gegen mich ist, ist ein Kinderschänder. Eine Erfahrung, die auch die Mitzeichner der Online-Petition gegen dieses Gesetz machen durften – unter anderem ich. Und zwar durch Frau von der Leyen als auch durch Minister von und zu Guttenberg.
Es dauerte auffallend lange, bis auch in einigen Redaktionsbüros die Einsicht dräute, dass es sich hier um etwas ganz besonderes handelt. Ich muss sagen: für mich haben die Medien in diesem Fall insgesamt (wobei es auch rühmliche Ausnahmen gibt) versagt. Ein wirklich guter Journalist hätte sich doch von Anfang an die Zahlen, mit den Frau von der Leyen operierte, zur Brust genommen. Dann wäre relativ schnell klar gewesen, dass die gesamte Argumentation der Ministerin auf nicht belegbaren Zahlen beruhte4. Und zwar bevor einige Blogger das getan hatten. Und dann hätte sich dieser gute Journalist einmal genau angeschaut, warum das BKA ausländische Provider nicht direkt per E-Mail kontaktieren können soll. Umgekehrt funktioniert das mit ausländischen Polizeibehörden und deutschen Host-Providern ja sehr gut. Und dann hätte der gute Journalist auch einmal die Frage gestellt, ob denn das BKA, das ja nun wohl schon seit einiger Zeit die Sperrlisten anderer Staaten inhaltlich kannte, diese auf deutsche Server hin untersucht habe und gegen diese Angebote vorgegangen sei5. Daraufhin hätte dieser gute Journalist allmählich gemerkt, dass das unter Umständen die Story schlechthin sein könnte: eine deutsche Polizeibehörde, die Kenntnis von dokumentiertem Kindesmissbrauch in ihrem Zugriffsbereich hat, und trotzdem nicht ermittelt.
Dann hätte sich der nächste gute Journalist darauf konzentrieren können, warum die Ministerin von der Leyen trotz Unkenntnis der Lage einen derartig schweren Grundrechtseingriff für erforderlich hielt und den zuerst nur als Vertrag zwischen BKA und Service-Providern umsetzen wollte, ein Verfahren also, dass keinerlei richterlicher oder parlamentarischer Kontrolle unterliegt, und mit welchen Mitteln (während des Treffens mit den Service-Providern) das passierte. Das könnte eine weitere interessante Story sein.
Das Gesetz wurde durch die Aktionen von Internetnutzern – ich spreche bewusst nicht von einer Community, da es sich immer noch um Aktionen von Einzelpersonen handelt – nicht gestoppt. Die Online-Petition hat die Regierung allerdings zum Innehalten gezwungen. Vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, an dem sich zeigen muss, ob die – jetzt nehme ich doch mal einen Sammelbegriff – „Netzbürger“ zeigen können, dass sie keine virtuellen Geistwesen sondern reale wahlberechtigte und politisch engagierte Bürger dieses Landes sind.
Der aufgebaute Druck muss aus dem Netz heraus eine breitere Basis finden. „Wir Netzbürger“ müssen uns nun auch ausserhalb des Netzes finden. „Uns“ allen gemein ist die Erfahrung, von der politische Kaste offenbar nur als Störenfriede wahrgenommen zu werden und nicht als eben engagierte und um Grundrechte besorgte Bürger.
Viele von uns „Netzbürgern“ entdeckten in den letzten Monaten, dass sie sich sehr wohl politisch interessieren und engagieren wollen. Und dass die aktuelle Politik sie in keinster Weise so wahrnimmt, wie es nötig wäre.
Aber es geht nicht darum, dass „wir“ nicht im Internet vom Staat gestört werden wollen. „Wir“ sind Teil des Staates und somit ist der Staat schon längst Teil des Internet.
Es geht auch nicht darum, dass „wir“ wollen, dass das Internet ein rechtsfreier Raum ist. Das Internet unterliegt den selben Gesetzen, wie alles andere auch in Deutschland. Diese Floskel demonstriert nur leider zu gut, wie wenig die derzeitige Politik verstanden hat, was eine global vernetzte Welt wirklich bedeutet.
Es geht auch nicht darum, dass „wir“ Freiheit im Netz ohne Verantwortung wollen. Das genau ist der Grund, weshalb es im Internet zo zahlreiche Prosteste gegen das Zugangserschwerungsgesetz gibt. Dieses Gesetz sorgt im Gegenteil dafür, dass Verantwortung hinter Symbolpolitik zurückweicht, der Staat die Strafverfolgung aufgibt und trotzdem behaupten kann, er würde wirksam gegen Kindesmissbrauch vorgehen.
Es geht um Freiheit. Es geht um Grundrechte. Es geht um Demokratie. Es geht um unsere Verfassung.
Das hier könnte der Anfang von Geschichte sein.