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23. Juli 2009

Präventive Prävention

Warum ich es für bedenklich halte, wenn jemand „nur mein Bestes will“ und dabei „nur an die Kinder denkt“

Mein Kollege Janusz, der aus Polen stammt, seit vielen Jahren in Deutschland lebt und seit etwas weniger vielen Jahren assimiliert eingebürgert ist, sagte mir einmal, dass es in Polen folgendes Sprichwort gibt: „Mit den guten Absichten wird die Hölle gepflastert.“

Ich erinnerte mich an dieses Sprichwort, als ich ein Interview mit Ursula von der Leyen (ja, das ist unsere Bundesfamilienministerin, die auch schon mal Indien zu einem Hort der Kinderpornographie werden lässt) in der Rheinischen Post las. Dort antwortet sie nämlich, nachdem sie zunächst ihr Gesetz zur Sperrung missliebiger Inhalte Zugangserschwerungsgesetz mit dem wie immer originellen Das-Internet-ist-kein-rechtsfreier-Raum-Textbaustein begründete, auf die Frage „Sehen Sie weitere Felder, wo Kinder und Jugendliche im Netz besser geschützt werden müssen?“ mit folgendem:

Ja, bei den sozialen Netzwerken im Internet, die Jugendliche gerne nutzen. Ich möchte gemeinsam mit den Verantwortlichen solcher Kommunikationsforen, aber auch mit der Kompetenz der Jugendlichen einen Verhaltenskodex entwickeln. Es geht um achtsamen und wachen Umgang miteinander. Minderjährige müssen beispielsweise wissen, dass sich Erwachsene mit üblen Absichten in ihre Chats einschleichen können. Sie können soziale Kompetenzen im virtuellen Miteinander ebenso erwerben wie im realen Leben. Mobbing im Netz kann nicht toleriert werden. Respektvoller Umgang muss in Chats, blogs oder Foren so selbstverständlich sein, wie wir das auch im Schulalltag mit Streitschlichtern oder Vertrauenslehrern einfordern.

Bitte kurz sacken lassen!

Einmal davon abgesehen, dass Frau von der Leyen der Begriff Netiquette, der mindestens so alt ist, wie das WWW und für die es sogar ein RFC gibt, wohl total neu ist, passieren hier mehrere bedenkliche Sachen:

  1. Frau von der Leyen stellt das Netz als einen asozialen Ort dar, in dem keine Regeln und kein respektvoller Umgang herrschen.
  2. Frau von der Leyen tut so, als würden die üblen Sachen nur im Netz passieren.
  3. Frau von der Leyen stellt die Situation so dar, als hätte sie als Ministerin allein den Missstand erkannt und würde ihn bekämpfen.
  4. Dazu will sie mit den Verantwortlichen der Kommuniklationsforen und sozialen Netzwerke (das sind die, die es schon einmal abgelehnt haben, sich vor ihren Karren spannen zu lassen) einen „Verhaltenskodex“ entwickeln.
  5. Frau von der Leyen tut also wieder einmal so, als gäbe es keine Gesetze, die derartige Tatbestände nicht schon längst greifen.

Respekt. Ich konstruiere ein Problem und biete auch gleich eine Lösung, die rein zufällig in meiner Schublade lag.

Demontage

Die gesamte Argumentation fußt auf der Annahme, dass das Netz ein rechtsfreier Raum sei. Wie allerdings schon an vielen Stellen deutlich angemerkt: „Verglichen mit dem Netz ist das Leben ein rechtsfreier Raum“.

Frau von der Leyens Missverständis geht noch tiefer: Das Netz ist kein Raum. Es ist kein Ort. Es ist ein Netzwerk. Genau genommen ist die Unterscheidung zwischen dem Internet und der realen Welt Unfug, weil das Internet Teil der realen Welt ist. Somit gibt es dort Orte, an denen man gepflegt und sachlich miteinander plaudert, und es gibt Orte, die man lieber nicht im Dunkeln betreten möchte. Nimmt man nun also an, dass das Internet böse und asozial ist, weil es eben dort auch Ecken gibt, an denen schlimme Dinge passieren, dann gilt das um so mehr für die reale Welt.

Den Missstand, den Frau von der Leyen im Internet entdeckt haben und bekämpfen will, kann man jeden Tag auf der Straße, am Bahnhof, in dunklen Spelunken und vielen anderen Orten finden.

Nimmt man all das zusammen, kann man sich ausmalen, worin der von ihr geforderte „Verhaltenskodex“ bestehen soll. Richten wir uns schon einmal auf den Plan, Foren und Chaträume präventiv auf „schmutzige Wörter“ hin zu filtern, ein. Denn Frau von der Leyen will uns beschützen. Sie will nur unser Bestes. Für die Kinder.

Vorschlag

Der Gedanke, der jetzt folgt, ist nicht von mir (sondern von Christoph Bauer), aber er ist gut und ich zitiere ihn hier:

Liebe #zensursula, ich würde mich freuen wenn du Medienkompetenz in der Grundschule einführst und nicht die Netiquette neu erfindest.

Quelle

Wir brauchen dringend ein Fach „Medienkompetenz“ an den Schulen. Wir können unsere Kinder nicht präventiv vor allem schützen. Aber das ist weder möglich noch hilfreich. Kinder, die vor allem und jedem beschützt und bewahrt werden, werden nicht groß und stark. Sie werden unselbständig. Natürlich muss man Kinder schützen, aber man muss sie auch lernen lassen, was das Wort „heiß“ bedeutet.

Medienkompetenz ist hier das Schlüsselwort. Es ist das Handwerkszeug für die Informations-/Kommunikationsgesellschaft. Das ist Prävention mit den richtigen Mitteln.

Im Netz gibt es jetzt bereits einen Verhaltenskodex für Frau von der Leyen. Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, aber vielleicht hilft es ja.