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reieRMeisters Mitleid in Dosen

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2. November 2004

Liebe Bundesagentur für Arbeit,

dies ist meine zweite Dose Mitleid – denn ich bin mir sicher, Ihr habt sie bitter nötig!

Am Anfang war eitel Sonnenschein. Das letzte Plopp der geplatzten Dotcom-Blase war schon seit Jahren verhallt. Und da muss bei Euch die Erkenntnis gereift sein: „Das Internet wäre doch eigentlich eine richtig coole Plattform!“ Die alten Stelleninformationssysteme waren ja auch schon reichlich antiquiert. Neu sollte es werden. Bunter. Schöner. Einfacher. Kundenorientierter. Und sogar behindertengerecht. Ui!

Im ersten Schritt sollte die Webseite runderneuert werden und eine neue Stellenbörse erhalten. Dazu kam noch ein Suchroboter, der automatisch das Netz nach Stellenangeboten durchforsten sollte. Der größere Teil der Angebotssumme schlug für die Ablösung der internen Beratungssysteme der Arbeitsagenturen zu Buche. Und dafür bekam die Firma Accenture mit einem Angebot von 65,5 Millionen Euro den Zuschlag.

Dieser Vertrag wurde nachträglich noch um ein paar Wünsche und ein paar Millionen ergänzt. Unterm Strich standen dort also auf einmal 98 Millionen Euro Kosten. Oder waren es doch 163 Millionen Euro?

„Aber wer wird denn da so kleinlich sein?“ Nicht wahr? Ein paar Millionen mehr oder weniger … Und schließlich sei das Geld ja zum Nutzen der Kunden, wie Arbeitssuchende jetzt bei Euch genannt werden, eingesetzt. Ihr seid ja jetzt ein Dienstleister. Wie schön. Dann setze ich soeben meinen Maßstab für Dienstleister bei Euch an.

Die schicken, neuen, teuren, internen Systeme werden ja frühestens Anfang 2005 getestet. Damit fallen Sie für eine Bewertung flach. Schade. Weiter unten werde ich erklären warum. Bleibt noch die Website.

Eure Website

Als ich mich dann zum ersten Mal dorthin begab, dachte ich mir: „Was für ein Haufen Scheiße!“ Was gibt mir das Recht, so zu reden? Ganz einfach. Ich zahle Arbeitslosenversicherung und Steuern. Ihr arbeitet auch mit meinem Geld! Und irgendwie werde ich den Eindruck nicht los, dass Ihr bisher zu wenig Feuer von Euren Kunden bekommen habt.

Seit den letzten sehr lauten und harten Kritiken (unter anderem sehr kompetent von www.elfengleich.de, www.einfachfueralle.de und www.barrierekompass.de) habt Ihr glücklichwerweise die nötigen Optimierungen vorgenommenen. Aber es bleiben noch genug Kritikpunkte für mich übrig.

Usability: nicht vorhanden

Als Euer Besucher ist man auf der ersten Seite schon so gut wie verloren. Wohin soll denn der User gehen? Alles ist gleichwertig, nichts steht im Vordergrund. Der User wird nicht geleitet.

Was hat Euch dabei geritten, die wichtigste Funktion Eurer Seite (Wenn es nicht die Suche nach Stellenangeboten ist, was ist es dann?) auf die dritte Ebene Eurer Seite zu verbannen? Wieso muss ich dazu mindestens zwei Klicks opfern? Diese Funktion gehört auf die erste Seite! Habt Ihr Euch noch nie gefragt, warum Google erfolgreich ist?

Warum zum Henker ist die Standard-Suchmaske so absolut unbrauchbar? Welche Systematik Ihr bei den Berufsbezeichnungen gewählt habt, interessiert doch Eure Kunden einen Scheiß feuchten Dreck! Wenn Ihr schon mit Berufsgruppen arbeitet, warum habt Ihr Euch nicht mal vorher die Suchmasken anderer Onlinestellenbörsen angesehen? So bin ich gezwungen, über viel zuviele Klicks ersteinmal die in Eurem Sinne korrekte Berufsbezeichnung zu suchen. Bravo.

Warum haben die Suchergebnisse nichts mit den Suchanfragen zu tun? Den Eindruck habe ich zumindest in der Volltextsuche gewonnen. Wenn ich in der Suchanfrage Webdesign mit den Eingrenzungen Festanstellung und meiner Postleitzahl in Berlin eingebe, dann schlägt mir das System Praktikums- und Ausbildungsstellen in Mainz, Karlsruhe und sonstwo vor – und sogar zwei in Berlin. Bitteschön wonach hatte ich gesucht?

Kann mir jemand erklären, was so kompliziert daran gewesen wäre, die wesentlichen Daten zu einem Stellenangebot auf einer Seite zusammenzufassen? Statt dessen muss Euer Kunde erraten, dass die Informationen, die er sucht, über die nicht als solche wahrnehmbaren Buttons erreichbar sind – so Sie denn eingetragen wurden. Bei einigen Feldern („Vergütung“ zum Beispiel) würde sich eine Pflichteingabe und eine Plausibilitätsprüfung echt gut machen.

Warum verweigert sich das gesamte Portal so konsequent den im Netz üblichen Link-Gepflogenheiten? In allen Infotexten, die auf Eurer Seite veröffentlicht sind, fehlen Links. Statt dessen verweist Ihr immer wieder auf Eure Linkliste auf der linken Seite. Warum nicht gleich im Text auf das entsprechende Ziel verweisen? Weil man dann die gewünschte Information finden könnte?

Warum kann ich überall auf Eurer Seite nachlesen, was mir als Euer Kunde an Strafen und Abzügen beim Arbeitslosengeld droht, wenn ich dies oder jenes nicht einhalte, aber nirgends, was mir überhaupt an Geld zusteht? Ein Onlinerechner für die Geldleistungen wäre eine sehr sinnvolle Anwendung (Ihr könnt die Idee kostenlos verwenden, ich will dafür kein Honorar).

Ich breche das hier mal ab, wer mag, kann auf der Seite noch mehr grobe Mängel entdecken.

Design?

Wie schon Sandra Wiegard zu diesem Layout schrieb: „Es sieht aus, als sei es zufällig beim Programmieren entstanden.“ Dem habe ich nicht viel hinzuzufügen. Es ist einfallslos, hat keine einheitliche Linie, ist oft verwirrend und wurde schon allein deswegen nicht zu unrecht auf der CeBIT 2004 mit der „Bremse des Jahres“ ausgezeichnet.

Immerhin validieren die Seiten mittlerweile als XHTML 1.0 Transitional. Auch wenn der Quelltext durch zahlreiche unsinnige Leerzeilen zerpflückt wird. Der Umfang mißbräuchlich fürs Layout eingesetzter Tabellen wurde offenbar erheblich reduziert – auch wenn sie nach wie vor vorhanden sind.

Die Hauptnavigation an der Oberseite ist in einem div mit darin unstrukturiert abgelegten Links untergebracht. Eine Liste wäre weitaus logischer gewesen. Auch der Flash-Avatar BEA wurde glücklicherweise in einer geheimen Kommandoaktion wieder von der Seite explantiert.

Und behindertengerecht?

Was mich im speziellen mal interessieren würde: als Agentur auf Bundesebene und Nachfolger des Arbeitsamtes gilt doch für Euch sicher die BITV, oder? Und wie dieser kostenlose Test und diese Bewertung beweisen, habt Ihr diese lange Zeit nicht im Ansatz eingehalten (und tut es teilweise heute immer noch nicht). War Euch eigentlich klar, dass diese Verordnung mittlerweile einklagbar war?

An dieser Stelle hat sich mittlerweile eine Menge getan. Optimal ist das sicher alles noch nicht, aber die Einsicht und der Willen zu Weiterentwicklung ist definitiv sichtbar.

Fazit

Als ich mich in das Thema eingelesen habe, stieß ich auf eine Reihe von Seiten, die den neuen Webauftritt kritisch bis sarkastisch beleuchteten. Und anfangs dachte ich noch, es wäre ein dankbares Thema – aber von Seite zu Seite, die ich mich weiter mit dem Thema beschäftigte, wuchs meine Wut.

Wenn die ganze Operation Virtueller Arbeitsmarkt tatsächlich in die Kostenregionen vordringt, die bisher vermutet werden, bleibt umterm Strich eine in großen Teilen unbenutzbare und maßlos überteuerte Website die aus meiner Sicht nicht einmal einen fünfstelligen Betrag wert gewesen wäre. Denn im wesentlichen handelt es sich um ein CMS, eine Datenbank, ein paar Suchmasken zur Abfrage und ein Usermanagementsystem mit unterschiedlichen Rechteebenen. So etwas bekommt man heutzutage schon für wesentlich weniger Geld. Der einzig unterscheidende Faktor, war vielleicht die Größenordnung der Userzahlen – nur das ist in der Regel ein Frage der Hardware.

Was den technischen Unterbau der internen Programme für die Arbeitsagenturen angeht, der ja den größeren Teil der Summe verschlingen soll, kann ich nicht beurteilen. Aber dann hätte die Bundesagentur für Arbeit ein Softwarepaket fürs CRM im Wert von 65,5 (oder 98) Millionen Euro gekauft. Auch das wäre fast Standardsoftware!

Für diese Summe muss sich die BA hoffentlich noch einmal irgendwo rechtfertigen. Und zwar sehr detailliert! Ich halte es für Verschwendung von Steuergeldern, aber das sollen die beurteilen, die es dürfen.

Na dann Prost!
Euer reieRMeister