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reieRMeisters Mitleid in Dosen

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3. November 2004

Liebe Deutsche Bahn,

auch Ihr habt viel für Eure Dose Mitleid getan. Und darum dürft Ihr die auch ganz allein schlucken!

Wenn man Realität als etwas beschreibt, das für Leute existiert, die mit Drogen nicht klarkommen, dann muss in Eurem Fall das Absetzen der Kleinen Bunten Pillen™ mit einem Hammerschlag vergleichbar gewesen sein, der direkt in Eurer Magengrube gelandet war.

Da hatten in Euren Reihen „Hyperventilierer“ festgestellt, dass eine Eisenbahn ja nichts anderes als ein Flugzeug sei. Und so könne man ohne weiteres die ruinösen Preissysteme der Billigflieger auf Schienenfahrzeuge übertragen.

Genau so schnell wie diese Erkenntnis müssen aber die Kleinen Bunten Pillen™ ihre Runde in Eurer Vorstandetage gemacht haben, denn dieses Preissystem wurde tatsächlich eingeführt.

Noch einmal zum Mitmeißeln: je früher sich ein Kunde zum Kauf eines Tickets hinreißen ließ, um so näher rückte der Preis von absolut utopischen Werten in Richtung erträglicher Obergrenze des Reisebudgets Eures Kunden. Was mich am meisten wunderte, war ja, dass Ihr als zusätzliche Steuergrößen nicht auch noch die durchschnittliche Haarlänge des Kunden, die Anzahl mitreisender rothaariger siamesischer Zwillinge und die Temperatur des im Bordrestaurants ausgeschenkten Kaffees mit einbezogen hattet.

Eines Tages war dann wohl Euer Vorrat an Pillen aufgebraucht – mit eingangs erwähnten Folgen. Und vielleicht wollte Euch Euer Dealer nicht schon wieder Kredit einräumen – jedenfalls ließ die nächste Lieferung auf sich warten. Denn dummerweise musstet Ihr feststellen, dass sich in Euren Kassen nicht wirklich Geld befand.

Es dämmerte Euch allmählich, dass Eure Erkenntnis bezüglich der Gleichheit von Flugzeugen und Eisenbahnen doch eher der Wirkung der Pillen zuzuschreiben war. Denn Flügel hatten Eure Bahnen noch nie. Das könnt Ihr mir glauben. Ich bin jahrelang zwischen Berlin und Nürnberg hin und her getourt. Und wie etwas, das Flügel haben und sich mit rasender Geschwindigkeit von A nach B bewegen sollte, sah ein ICE nunmal nicht aus. Ganz zu schweigen von der Termintreue.

Das neue Preissystem machte auf Eure Kunden wohl genau diesen Eindruck: als hätten an der falschen Stelle Eures Unternehmens die falschen Leute die falschen psychotropen Substanzen zu sich genommen. Das Preissystem funktionierte nicht. Und damit Eure Welt wieder schön werden konnte, brauchtet Ihr dringend Nachschub. Und dafür brauchtet Ihr Geld.

Was lag also näher, als das Preissystem wieder zurückzudrehen, die Preise zu erhöhen, die nächste Lieferung Pillen zu ordern und die Welt wieder rosarot zu sehen?

Nichts. Denn genau so kam es.

Vielleicht trieben Euch ja auch die Entzugserscheinungen noch wirrere Gedanken zu: Wenn Bahnen nun doch keine Flugzeuge waren und die Kunden keine tiefergelegten Billigfliegertarife mochten, dann wollten Sie doch sicher lieber für ein künstlich verlangsamtes Verkehrsmittel mit miserablem Service und überfordertem Personal utopische Preise zahlen! Und wenn es den Leuten immer noch zu schnell ging, dann könnte man ja im Regionalbereich ein paar Strecken streichen und …

Zu Eurer Ehrenrettung hoffe ich mal, dass die Entzugserscheinungen wirklich schlimm sind und nur diese Euch zu Eurer Preiserhöhung (die vom Herbst/Winter 2004) treiben. Denn noch deutlicher als durch jahrelang nachlassenden Service, steigende Preise und genervten bis arroganten Umgang mit Euren Beförderungsfällen kann man seinen Kunden nicht sagen: „Wir wollen nicht, dass Ihr uns Euer Geld gebt!“

Was ich hier schreibe klingt sicher nicht nett. Tut mir leid, Ihr wart es auch über all die Jahre, die ich auf Euch angewiesen war, nicht zu mir. Dazu passt auch Euer jüngster Gnadenakt, dass Ihr künftig bei Verspätungen ab einer Stunde (das zu erreichen, dürfte kein Problem sein) im Fernverkehr Gutscheine als Entschädigung ausgeben werdet. Damit habt Ihr bewiesen, dass Eure Kunden im Regionalbereich für Euch maximal zweitklassig sind. Glückwunsch!

Eure Kunden sind sicher bereit, für eine gute Dienstleistung einen entsprechenden Preis zu zahlen. Da Ihr allerdings als Monopolist auf dem Schienenweg auftretet, agiert Ihr nicht unter realen Bedingungen. Wäre der Markt anders verteilt – würden Euch Eure Kunden sehr viel härter und gnadenloser für jeden Fehler bestrafen. Das scheint Ihr vergessen zu haben. Im Hinblick auf eine hoffentlich baldige Liberalisierung des Schienenweges tut Ihr gut daran, Eure Kunden zu hegen und zu pflegen. Dann hättet Ihr vielleicht eine Chance auf dem Markt.

Und noch etwas: Mehr Service werdet Ihr nicht über eine dünnere Personaldecke erreichen. Eure Angestellten vor Ort können am allerwenigsten für Eure globalen Strukturprobleme, die für Eure Verspätungen verantwortlich sind.

Na dann Prost!
Euer reieRMeister

PS: Natürlich nehme ich nicht an, dass die Vorstandsetage der Deutschen Bahn AG eine Drogenhölle ist. Dieser Text ist Satire – und auch nur als solche zu verstehen.